Eine Version der Geschichte
Wie in Simone Kuchers Stück “Eine Version der Geschichte”, in dessen Zentrum ein dokumentarisches Tondokument steht, eine Phonographenaufnahme aus dem Ersten Weltkrieg: “Hore, adjev, lusin, atschka, anirnar, ritschole, andsrev …” Einfache Wörter und Zahlen, auf Armenisch gesprochen, scheinbar zusammenhangslos aneinandergereiht, erschreckend banal. Dennoch lässt diese Aufnahme die Protagonistin des Stückes, Lusine, nicht mehr los. Ist die Stimme auf dem Band nicht die Stimme ihres Großvaters? Wo und wann wurde sie aufgenommen? Welche Geschichte verbirgt sich dahinter, hinter ihrer eigenen armenischen Herkunft? Kucher zeichnet in geschickt montierten Episoden die Suchbewegungen Lusines nach. Dabei gelingt ihr die Gratwanderung zwischen sensibler Figurenzeichnung und historischem Faktenwissen, ohne in Sentimentalität oder trockenen Dokumentarismus zu verfallen.
Nachtkritik, 19.05.2016
Traumfabrik
Einen Rechercheberg muss Simone Kucher zusammengetragen haben - um sich dann konsequent von 99 Prozent des Erfahrenen wieder zu trennen. Nur so konnte sie das Wesentliche für ihr Stück “Traumfabrik” herausarbeiten. (…) “Traumfabrik” schildert das Leben der beiden Mays und ihrer Tochter Eva. Die Autorin geht nicht chronologisch vor. Sie springt in der Zeit, um die Schicksale thematisch zu ordnen. (…) Viel Wissen um Filmgeschichte um den heutigen Weißenseer Caligariplatz ist in der mit Herz inszenierten Hommage an die Filmpioniere aufgehoben. Allerdings ist “Traumfabrik” kein Stück, bei dem das Publikum am Ende begeistert aufspringt. Dazu ist es zu bewegend, bringt Nachdenklichkeit und auch etwas Beschämendes mit sich. Darüber, dass heute bei Filmgeschichte der Blick nach Hollywood flitzt, statt etwas in Weißensee zu verweilen.
Neues Deutschland, 28.11.2014
Im Licht - Pola Negri
Das Bild, das darin in 90 Minuten entsteht, ist ein vielsagendes Porträt der Künstlerin Pola Negri. Auch wenn es erst hieß, es gehe hier um Fragmente. Das war zu vorsichtig, untertrieben. (…) Simone Kucher geht es in ihre Stück nicht um Vollständigkeit der Biografie. Klug setzt sie Akzente, die die Künstlerin charakterisieren.(…) So zeigt sich das Bild der Frau Pola Negri vor dem Hintergrund ihres Künstlerinnenlebens. Es beginnt im Dunkel und endet auch dort. Diese Zeiten und die des großen Erfolgs im Licht und den dazu gehörigen Schatten werden ebenso behutsam berührt wie hart nachgegriffen und musikalisch wirkungsvoll umgesetzt.
Neues Deutschland, 15.09.2011
Silent Song
Viel Beifall für den literarisch höchst anspruchsvollen Abend.
Kronenzeitung, 3. November 2009
Das “arme theater wien” bringt jetzt die Uraufführung von “Silent Song” im Metallenen Saal des Musikvereins. Einen stimmigeren Ort hätte es dafür kaum geben können, denn in der tristen Atmosphäre wirkt das Bühnenbild besonders stark: über den Boden verstreute Kleidungsstücke, Blumen, Spielsachen. Dazwischen zwei Frauen (Patricia Nessy, Krista Pauer), drei Männer (Georg M. Leskovich, Dustin Peters, Jörg Stelling), die reden und singen und dem Erlebten doch niemals entkommen.
Schauspielerisch hervorragend sind sie alle fünf, doch am stärksten berührt wohl das Schicksal des Mannes, der Frau und Kind verlor und immer wieder glaubt, seine kleine Tochter auf der Straße gesehen zu haben.
Wiener Zeitung, 4. November 2009
Ein virtuos inszenierter, berührender und oft auch beklemmender Theaterabend über Menschen, die mit den Folgen einer großen Katastrophe zu kämpfen haben. Erinnerungen an 9/11 keimen auf.
Gunther Baumann, Österreich 16. November 2009
Im Zentrum des Schauspiels und der Musik bzw. der Geräusche von „Silent Song“ der freien Gruppe „Armes Theater“ sitzen, stehen, bewegen sich zaghaft eingeschüchterte Opfer. Erst tun sie das praktisch völlig sprachlos. Erst nach und nach finden sie langsam – für sich und miteinander – wieder zu Worten. Mit wohl dosiertem und berührendem Schauspiel lassen unter anderem Patricia Nessy, Krista Pauer und Jörg Stelling diese Entwicklung auch das Publikum nachvollziehen. Beklemmend.
Kurier, 12. November 2009
Helikopter Quartett
Mit ihrem zweiten Theaterstück legt Simone Kucher ein verstörendes Kammerspiel vor. „Wie lange stehst du schon so am Bett?“ Die trockene Frage der plötzlich im Raum stehenden Frau bringt den Mann aus der Fassung – und das Publikum auch. Denn sie reisst uns unvorbereitet aus einer Geschichte, die wir bis dahin als eine an uns adressierte Erzählung und nicht als das Gedankenspiel eines wahnanfälligen Mannes verstanden haben. Doch von nun an ist in Simone Kuchers Zweipersonenstück „Helikopter-Quartett nichts mehr, wie es scheint.
Gefährliche Risse bringen diese Paarbeziehung ins Ungleichgewicht. Ungesagtes führt zu Missverständnissen und treibt gerade im Mann gefährliche Gedanken an, die bis zu Mordvorstellungen reichen. Zunächst summen diese Wahnmomente nur wie das leise Rotorengedröhns eines Helikopters in seinem Kopf. Doch der Lärm nimmt zu, und am Ende legt er sich als ohrenbetäubende Druckwelle schwer über die ganze Bühne.
Simone Kucher hat hier ein spannungsgeladenes, vorwiegend auf inneren Monologen aufgebautes, verstörendes Drama geschrieben, dessen Titel sich in assoziativer Weise an Karl-Heinz Stockhausens „Helikopter-Streichquartett“ anlehnt.
Dominik Heitz, Basler Zeitung 28.05.2005
Kucher spielt in ihrem Stück mit den Extremen, versteht es Metaphern strategisch günstig einzusetzen mit kleinen Worten große Gefühle auszudrücken; sie spielt mit den Erwartungen des Publikums. Immer, wenn man zu wissen glaubt, was passiert, lenkt sie das Spiel in eine andere Richtung.
Kornelia Schiller, Badische Zeitung 28.05.2005
Falls City
Der Fall des 1993 ermordeten Transsexuellen Brandon Teena ist schon zweimal verfilmt worden. In Kimberley Pierces “Boy’s don’t cry” (1999) wird die Geschichte als Romanze zwischen Brandon und Lana erzählt. Das von Bernhard Mikeska und Simone Kucher verfasste, von Bernhard Mikeska nun in der Roten Fabrik inszenierte Theaterstück “Falls City” bildet dazu ein Korrektiv. Im Rückblick berichten Lana, Lisa und John abwechslungsweise über das Vorgefallene. Dazwischen ertönen aus dem Lautsprecher Passagen aus einem Gespräch zwischen Brandon und einem Polizisten, in dessen Verlauf Brandon über sich selbst sagt: “Ich habe eine Sexual Identity Crisis.” Damit hat er den Schlüsselbegriff des ganzen Dramas formuliert. Als ein Vertreter des sogenannten “white trash” nämlich, dessen Selbstvertrauen von seiner vermeintlichen männlichen Überlegenheit abhängt, sieht John in Brandon eine existenzielle Bedrohung.
“Falls City” ist ein starkes Stück voller Anspielungen auf die Wirkungsmacht überkommener Geschlechterdiskurse.
Neue Züricher Zeitung, 02.05.2005